in Digital

#rp14

Das war jetzt meine dritte re:publica in Folge (nachdem ich nach der ersten #rp07 ein paar Jahre Pause eingelegt hatte). Und so war’s:

Die Anfahrt

Die erfolgte zum ersten mal mit dem Fernbus. Und sowohl der gelbe, als auch der grüne Fernbus sind voll o.k.. Auf der Komfortmobilitätsrangliste würde ich dieses Transportmittel auf Platz 2, nach dem Zug, aber noch vor dem Auto platzieren. Mehr dazu demnächst in einem separaten Mobilitätshalbjahres- fazit.

Die Unterkunft

Nachdem ich die letzten zwei Jahre immer im guten, aber auch irgendwie langweiligen, NH-Kettenhotel am Potsdamer Platz genächtigt hatte, kehrten wir dieses Jahr auf Empfehlung von Frau Nuf im Hüttenpalast ein. Das Hotel besteht aus einer etwas größeren Halle, in der ein paar restaurierte Wohnwägen und kleine Hütten stehen. Da drin kann man dann schlafen. Vor jeder Unterkunft steht noch ein Tisch mit Sitzgelegenheiten. Das ist alles so liebevoll und putzig arrangiert, wie es auf den Fotos aussieht. Die sauberen und neuen Duschen und Toiletten nutzt man gemeinsam. Also eigentlich wie Camping, nur mit Dach über dem Kopf und am Hermannplatz viel zentraler gelegen, als alle Campingplätze Berlins zusammen. Außerdem kostenloses, schnelles WLAN und eine Senseo-Kaffemaschine zur freien Nutzung. Einzig an einer gewissen Hellhörigkeit sollte man sich nicht stören. Alles in allem nahezu perfekt und mit 65 €/Nacht auch noch günstiger, als die meisten Kettenhotels. Klare Empfehlung.

Die Begleitung

Meine Frau. Nix gegen die Kollegen aus den letzen Jahren, aber die Kinder eine Woche bei den Großeltern abzugeben und zusammen eine knappe Woche in Berlin in einem 60er-Jahre Wohnwagen zu nächtigen, einen der interessantesten Kongresse für Gesellschaft, Politik und Dingens zu besuchen – da fallen @onyildi, @karummms und @GNetzer als Hotelbuddies leicht ab. Sorry, Jungs.

Der Kongress

Es war natürlich noch mal größer, als im letzten Jahr. Und das hat man auch ein bisschen gemerkt, weil man zeitlich nicht mehr zu knapp in eine einigermaßen populäre Session kommen durfte, wenn man einen sicheren Sitzplatz haben wollte. Inhaltlich scheint sich das Programm mit jedem Jahr noch ein bisschen weiter zu öffnen. Es gibt immer noch Technik und viel Netzpolitik (wobei man auch hier in jedem Jahr neu versucht, den Begriff zu definieren), mittlerweile hat aber auch das Thema Bildung einen festen Platz und dieses Jahr konnte man im Hof sogar zugucken, wie ein komplettes Bioschwein verarbeitet wird. Außerdem docken immer mehr kleinere Veranstaltungen, wie z.B. die droidcon oder das MIZ an die re:publica an.

Eine der zentralen Sessions ist jedes Jahr die Ansprache von Sascha Lobo, die diesmal als “Rede zur Lage der Nation” im Programm vermerkt war und damit nun auch in der offiziellen Benennung das ist, was sie die letzen Jahre schon immer war. Zumindest für die Netz-Nation. In den letzten Jahren wurden da der Netzgemeinde (ob’s die wirklich gibt, wird auch jedes Jahr neu bestimmt) in irgendeiner Form die Leviten gelesen. 2012 hat Lobo sich beschwert, dass ausser ihm niemand der Nicht-Netzgemeinde (die es natürlich nur in Jahren gibt, in denen man sich auf die Existenz der Netzgemeinde verständigt hat) das Netz erklärt, 2013 wollte er dann, dass sich jeder seine Daten, die er bei Social-Media-Diensten hinterlässt, wieder zurückholt (Reclaim Social-Media) und 2014, in der Nach-Snowden-Phase, geht es jetzt darum, dass wir erst mal Staat und kriminelle Geheimdienste daran hindern müssen, sich unsere Daten zu holen. Reclaim Grundrechte also.

Bei jedem dieser Vorträge sitzt man drin und denkt sich: Recht hat der Mann. Man müsste doch mal, Morgen mach ich aber… Meistens macht man dann halt doch nicht. Dabei könnte man. Z.B. einen Dauerauftrag für die Digitale Gesellschaft oder eine vergleichbare Lobbyorganisation einrichten. Lobo diagnostiziert bei diesen nämlich, im Gegensatz zu, seit mehreren Jahrzehnten etablierten Umweltverbänden, eine extreme Unterfinanzierung. Dabei ist es von essentieller Bedeutung diese Interessenvertretungen finanziell und damit auch personell zu stärken, weil nur so eine Beeinflussung von nationaler und v.a. auch internationaler Politik im Sinne einer grundrechtorientierten (Netz)-Politik überhaupt möglich und realistisch wird. Und ähnlich wie die Umweltbewegung vor über 30 Jahren, wird auch die Digitalbewegung nicht um eine Marsch durch die Institutionen herumkommen. Das wird sehr lange dauern und erfordert Geduld und Ausdauer.

Ich finde es da gar nicht so schlimm, wie dasnuf, dass er die Netzgemeinde in der ersten halben Stunde ein bisschen beschimpft hat (ich hab auch noch keinen Dauerauftrag eingerichtet), glaube aber auch, dass es mit dem Vergleich zur Umweltbewegung nur teilweise getan ist. Es könnte nämlich durchaus so sein, dass wir, wie André Vatter schreibt, mittlerweile schon eine verlorene Generation Y haben, die gar nicht mehr weiss, warum und v.a. für welche Grundrechte sie sich stark machen sollte, weil es ihnen niemand erklärt hat. Und damit kommen wir zu einem anderen Schwerpunktthema auf der re:publica: Bildung.

Ich hab dieses Jahr, und in den Jahren davor, ein paar wirklich beeindruckende Kinder, Jugendliche und Pädagogen gesehen, die total tolle Sachen machen. Ein 12-Jähriger rockt Stage 5 und erzählt mit unfassbarem Selbstbewusstsein, wie er für Gratis-Döner Social-Media-Marketing für seine Verwandtschaft macht, eine Berufsschulklasse organisiert ihr Lernen, unter Anleitung und mit Hilfe von Planungssoftware, selbst und mit MinecraftEdu kann man Unterricht gestalten.

Das ist wirklich spitze und zukunftsweisend, aber allein der bundesdeutsche Bildungsalltag scheint mir davon noch meilenweit entfernt zu sein. Initiativen wie Jugend hackt suchen händeringend Mentoren (und erreichen sowieso nur die Bildungsmittelschicht) und eine Abiturientin berichtet, wie an ihrer Schule aus Angst vor Störerhaftung und Kinderpornografie das WLAN deaktiviert wurde und sie sich mit eigenen Hotspots beholfen haben um das Netz weiter zu Lernzwecken nutzen zu können. Und was ich aus meinem privaten Umfeld aus der Schule mitbekomme, klingt zwar nicht mehr unbedingt nach klassischem Frontalunterricht, aber auch noch lange nicht nach neuen Lernmethoden bei denen das Digitale als selbstverständliches Hilfsmittel eingesetzt wird.

Das hier in den letzten Jahren eine Art medien- und netzpädagogisches, bundesweites Vakuum entstanden ist, klingt plausibel. Die Jugend wiederum hat sich die letzten zehn Jahre das Netz sowieso schon alleine angeeignet und lebt ihre verschiedenen digitalen Subkulturen an den unterschiedlichsten Stellen im Digitalen aus. Das passierte und passiert von ganz alleine. Man hätte sie dabei aber viel positiver, weniger ängstlich und ermutigender begleiten können.

Würde man konsequent, von mir aus schon ab dem Kindergartenalter, neue Lernformen und digitale Lernmittel einsetzen um den Kindern Wissen und neue Kompetenzen zu vermitteln, dann hätte man in zwanzig Jahren eine Generation, die den Wert von Datenschutz und Privatsphäre zu schätzen und schützen weiss und die neuen Techniken gleichzeitig wie selbstverständlich als Hilfsmittel zum Zweck nutzt. Das dauert lange und man sieht Erfolge erst ein paar Legislaturperioden später. Aber bis dahin wäre dann auch Sascha Lobo durch die Institutionen marschiert und Internetkanzler.

Zum Schluss noch ein paar Videos:
Lorenzo Tural Osorio: Zahnbürste oder Longboard

Sascha Lobo – Rede zur Lage der Nation

Sind bloggende Väter eine Nischenerscheinung (u.a. mit dem sehr sympathischen Floyd Celluloid):

Die lustigste Veranstaltung, den Science Slam, gibt es leider (noch) nicht als Video. @beetlebum hat ihn zu Recht gewonnen. Die anderen waren aber auch super.

Schreibe einen Kommentar

Kommentar

Webmentions

  • Link-O-Rama vom 14.5.2014 13. Mai 2014

    […] [man weiß ja nie] » nutzervertreter. Ein interessanter Zusatz zu Sascha Lobos Vergleich der digitalen Bewegung mit der Umweltbewegung. Vielleicht wären die Krankenvertretungen ein besseres […]