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Kontrolle ist schlecht, Vertrauen ist besser

Spezielle Schutzsoftware verspricht Eltern digitale Sicherheit für ihre Kinder. Ist das wirklich sinnvoll?

In unserem Kinderzimmer liegen zwei ausrangierte Smartphones (ohne SIM) und ein altes iPad (mit Displayschaden) herum.

Bei so viel digitaler Verführung sollten wir für unsere beiden Kinder (6 und 8 Jahre) wahrscheinlich ein ausgeklügeltes Regelwerk für die Nutzung aufstellen. Medienpädagogische Initiativen, wie z.B. das EU-geförderte klicksafe empfehlen Eltern u.a. die Nutzung von verschiedenen Schutzmechanismen, Filter für Webseiten und Zeitlimits für die Nutzung einzelner Anwendungen.

Wir haben auch das, als Kids-Tablet beworbene, Kurio Tab2 für ein paar Wochen getestet. Damit kann man sehr detailliert genau solche Regeln und Schutzmechanismen umsetzen. Nach einer halben Stunde Cut the Rope kommt dann automatisch die Meldung, dass die Zeit jetzt abgelaufen ist.

Uns hat das keinen Spaß gemacht. Den Kindern nicht, weil sie mit der Zeiteinschränkung aus dem Spiel gerissen wurden und mir nicht, weil ich das Zeitlimit dauernd verlängern musste.

Tanja und Johnny Haeusler schreiben in Ihrem Eltern-RatgeberNetzgemüse – Aufzucht und Pflege der Generation Internet: „Für unsere Kinder ist das Internet so natürlich wie Leitungswasser.

In unserem Haushalt läuft fast rund um die Uhr der Rechner, wir nutzen als Eltern durchgehend unsere Smartphones. Für Termine, zum Kochen, zur Kommunikation, zum Spielen. Es ist auch für uns Eltern so selbstverständlich geworden wie Leitungswasser. Und niemand käme auf die Idee, den Kindern jeden Tag nur einen halben Liter Wasser zwischen 13 und 14 Uhr zu erlauben, wenn Mama und Papa den ganzen Tag immer wieder trinken.

Die gezielt, geplante Reglementierung und Einschränkung von Mediennutzung heben Tablet und Computer auf ein Podest und machen es zu etwas besonders Begehrenswertem, was es im Alltag vieler Familien eigentlich gar nicht mehr ist.

Obwohl bei uns die Smartphones theoretisch zur ständigen Nutzung bereit liegen, sind sie nicht ständig im Einsatz. Es gibt keine wirklich festgeschriebenen Nutzungsbedingungen. Wenn ich das Gefühl habe, dass es jetzt langsam reicht, sage ich den Kindern, dass es jetzt langsam reicht.

Funktioniert das immer? Nein, natürlich nicht. Es wird auch bei uns diskutiert, verhandelt, geschmollt. Aber das wird es auch, wenn nicht eine Woche am Stück die ungewaschenen Lieblingssocken angezogen werden dürfen.

Die Kinder stecken ihre Nasen trotzdem noch in Bücher und Comics, malen, spielen Lego und Brettspiele, besuchen Freunde und gehen auf den Spielplatz. Die Gadget-Nutzung ist eine von vielen möglichen Freizeitbeschäftigungen geworden.

Ich kann gut verstehen, dass es für Eltern reizvoll ist, die Aufsicht über den Medienkonsum ihrer Kinder an ein ausgefeiltes Kontrollsystem auszulagern. Das ist auf den ersten Blick bequem und man muss sich v.a. selbst nicht so sehr mit den Inhalten und der Technik beschäftigen, weil ja der Filter sowieso nur FSK 0 zulässt.

Filter versprechen die volle Kontrolle. Die hat man aber nie. Sobald die Kinder morgens das Haus verlassen, gibt man Kontrolle ab. Genau so ist es auch im Digitalen.

Spätestens wenn die Kinder so alt sind, dass sie die Schutzmechanismen selbst umgehen können und ihre Klassenkameraden eben bei youtube und nicht bei blindekuh.de einsteigen, wird der Wunsch aufkommen die „echten“, ungefilterten Inhalte zu nutzen. Und dann ist es doch nur von Vorteil, wenn man schon ein paar Jahre lang, von den Eltern gut begleitet, darauf vorbereitet wurde.

Eltern sollten keine Angst vor den Gefahren oder technischen Einstiegshürden haben, sondern sich aktiv selbst mit den neuen Diensten und Anwendungen beschäftigen. Snapchat (und in ein paar Jahren vielleicht was ganz anderes) oder eine Runde Sonic-All-Star-Racingkönnen auch mit vierzig Jahren noch Spaß machen.

Viel wichtiger als starre Nutzungsregeln, ist ein ernsthaftes Interesse von Elternseite, das Zeigen und Vorleben eigener, digitaler Kompetenz und ein gemeinsames Kennenlernen neuer Techniken mit anschliessendem Loslassen in die eigenverantwortliche Nutzung. Dann wird man hoffentlich auch später, wenn die Kinderzimmertür nicht mehr offen steht, noch als kompetenter Ansprechpartner bei kleinen und großen Problemen akzeptiert und kann auf Augenhöhe mitdiskutieren.

Altersgerecht aufbereitete Seiten, wie blindekuh.de, klicksafe oder die Kinder-Wikipedia Klexikon sind tolle Angebote mit denen man hervorragend einsteigen kann und die umfangreiche, redaktionell aufbereitete Informationen für Eltern bieten. Ich will aber nicht, dass sie die alleinigen Netz-Biotope sind, in denen sich meine Kinder in den ersten Jahren genau eine halbe Stunde pro Woche aufhalten.

Und wenn dann alles doch irgendwie schief geht, setzen wir einfach einenFamilien-Mediennutzungsvertrag auf.

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