in Familie

Lästern mit Kindern? Eben nicht egal!

In der aktuellen Nido-Ausgabe gibt es die Geschichte „33 Dinge, die mit Kindern erst so richtig Spaß machen“. Eines von diesen 33 Dingen ist „Lästern“. Der oder die Autorin Autor (es handelt sich um eine Sammelgeschichte, die einzelnen Texte sind nicht namentlich gekennzeichnet) ist der Meinung, daß gemeinsames Lästern „das Band zwischen meiner Tochter und mir stärkt.“ und dass das aber nicht so schlimm sei weil die belästerte Person das ja nicht mitbekommt. Im konkreten Fall wird über eine „sehr korpulente Frau“ gelästert. Das Lästern ist wichtig, weil Tochter und Autor dadurch zu einem „Stamm“ werden. Der ganze Text ist nicht online, deshalb hier ein Auszug.

Unabhängig von einer Grundsatzdiskussion über Lästern und was das überhaupt für eine Beziehungsbildung zum Kind ist, die auf Vorurteilen und Ausgrenzung von anderen Menschen basiert, Folgendes:

„Papa, findest Du mich zu dick?“, „Der XXX hat gesagt, die YYY ist zu fett und muss eine Fettabsaugung machen. Stimmt das?“

Das sind zwei Fragen, die ich in den letzten zwei Jahren von meiner jetzt siebenjährigen Tochter gestellt bekommen habe. Ich hatte mit ihr bisher nicht darüber geredet, ob sie zu dick ist oder was eine Fettabsaugung ist.

In beiden Fällen wurde das Thema von gleichaltrigen Kindern aufgebracht. Wie kommen diese Kinder auf sowas? Offenbar gibt es in ihrem Umfeld erwachsene Personen, die Körpergewicht und Fettabsaugung thematisieren und sich über dicke Menschen lustig machen.

Es ist eben nicht egal, wenn man mit seinen Kindern über Andersartigkeiten von Menschen lästert. Der lästernde Erwachsene formt damit direkt das Menschenbild des eigenen Kindes (was mir noch egal sein kann), er formt damit aber auch ganz konkret das Menschen- und v.a. Selbstbild meiner Tochter (weil Kinder sowas eben nicht für sich behalten, wie es Erwachsene vielleicht können).

Es ärgert mich, mit welcher Selbstverständlichkeit das in dem Textkasten verharmlost, als erstrebenswert und beziehungsfördernd angepriesen wird. Ich habe wirklich gar keinen Bock darauf, dass sich meine siebenjährige Tochter schon Gedanken darüber macht, ob sie zu dick ist!

 

Disclosure: Ich hab früher für Nido gearbeitet und bis vor kurzem noch die Links der Woche für Nido.de geschrieben.

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Kommentar

  1. Nun bin ich kein Vater, aber als Erzieher musste ich die Frage auch schon beantworten. Ich war einigermaßen fassungslos, als mir eine Achtjährige im Hort die Frage gestellt. Von ihren Eltern kam es nicht, dessen bin ich mir ziemlich sicher.
    Ich verstehe nicht, was Erwachsene bzw. Erziehungsberechtigte reitet, sich über angebliche optische Makel Anderer lustig zu machen.

  2. Am besten fand ich die Passage, wo der Autor schreibt, dass sie einen gemeinsamen Feind brauchen. Also ist die kräftige Frau neben ihnen der Feind? Und als Beispiel die NATO zu nennen, also wirklich. Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Deswegen frage ich mich, wie diese Zeitschrift einen so schlechten Text veröffentlichen konnte. Und wie alle anderen bereits kommentiert haben, es ist wirklich traurig, dass der Autor nicht weiß, wie man das Band zwischen ihm und der Tochter auf einem besseren Weg stärken kann, als sich über andere lustig zu machen.

Webmentions

  • pat 26. März 2017

    Zitat der Woche:

    „Much of our food system depends on our not knowing much about it, beyond the price disclosed by the checkout scanner; cheapness and ignorance are mutually reinforcing. And it’s a short way from not knowing who’s at the other end of your food chain to not caring–to the carelessness of both producers and consumers that characterizes our economy today.“ –  Michael Pollan, The Omnivore’s Dilemma

    Nicht einmal die Hälfte der in klinischen Studien dokumentierten Nebenwirkungen von neuen Medikamenten wird publiziert: http://www.deutschlandfunk.de/publizierte-medizinische-studien-die-haelfte-der.676.de.html?dram:article_id=370372
    Arte hat eine tolle Serie zum Thema Gaming veröffentlicht: http://creative.arte.tv/de/series/art-gaming
    Brotbacken zur Entspannung. Kann ich absolut bestätigen: http://ze.tt/wie-uns-ausgerechnet-brotbacken-gegen-stress-hilft/
    Ups, Nido. Das war nicht schön: https://www.bielinski.de/2017/03/laestern-mit-kindern-eben-nicht-egal/
    Ein Call for Podcasts. Tolles Projekt mit einem vielversprechenden Team: https://callforpodcast.de
    Wo wir bei Podcasts sind: Ich habe einen neuen wunderbare entdeckt (und auch der Übersicht hinzugefügt). Im Radiorebell spricht ein Vater mit seinem autistischen Sohn über diverse Themen: http://www.wochenendrebell.de/
    Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ hat eine Comic veröffentlicht: http://www.hinter-tueren.de/
    Die letzte Linksammlung gibt es hier.

  • tandaradeii 26. März 2017

    Gestern wurde ich auf Twitter auf einen Artikel in einem Elternmagazin aufmerksam, der mich wirklich schockiert hat, und der den letzten Anstoß gegeben hat, über ein Thema zu schreiben, was mich schon länger (eiegntlich schon mein ganzes Leben lang) beschäftigt.
    In dem Text beschreibt ein Vater, wie er mit seiner Tochter über ein dicke Frau gelästert hat und preist das Lästern nebenbei noch als großartige Möglichkeit, die Bindung zu seiner Tochter zu stärken. (Zitat: Jede gute Beziehung braucht einen gemeinsamen Feind)
    Auf die daraufhin verständlicherweise folgende Empörung auf twitter und in anderen Netzwerken reagierte Nido mit einer Stellungnahme, die es fast noch schlimmer machte, da sie doch zeigte, dass absolut nichts verstanden wurde. Nein, natürlich sei man für Bodyshaming und Abgrenzung nicht zu haben, habe das auch diskutiert, den Text dann aber trotzdem veröffentlicht, wegen der Ehrlichkeit und überhaupt sei ja schließlich niemand perfekt. Sollte sich jemand verletzt gefühlt haben (klassische Verschiebung der Verantwortung von Täter- auf Opferseite) täte ihnen das natürlich total leid.

    Wie bescheuert diese Aussage ist, liegt auf der Hand. Was wäre, hätte der Autor mit seiner Tochter nicht über eine dicke Frau gelästert, sondern über einen orthodoxen Juden mit Schläfenlocken und Kippa. Oder eine Person mit Behinderung. Oder eine geflüchtete Person. Hätte Nido dann auch gesagt:“Natürlich sind wir gegen Antisemitismus/Rassismus/Ableismus, aber das Statement ist doch so wunderbar ehrlich, deshalb bieten wir eine Plattform dafür.“?!
    Es sind schon einige kluge Dinge dazu gesagt worden, unter anderem hier und hier, trotzdem habe ich auch noch ein paar Gedanken, die ich dazu loswerden möchte:
    Natürlich ist es nicht ok, mit seinen Kindern über andere herzuziehen, Menschen auszugrenzen und das ganze auch noch anderen Eltern zu empfehlen, als eins von „33 Dinge(n), die mit Kindern erst so richtig Spaß machen“. Durch so ein Verhalten werden Kinder zu Mobber*innen erzogen und lernen, dass man sich über (vermeintlich) Schwächere lustigmachen darf. Das hat Auswirkungen weit über die Person, über die gelästert wird (die es laut Argumentation des Autors ja nicht mitbekommt), wenn die Kinder dieses Verhalten nämlich in ihre Peer-Group, in die Schulklasse, den Sportverein, wo auch immer tragen.
    Soweit, so klar. (Sollte man meinen…) Für mich gibt es aber einen weiteren Punkt, den ich an dem ganzen besonders traurig finde, und das ist die Tochter des Autors.
    Durch das Verhalten ihres Vaters wird diesem Mädchen ganz deutlich klargemacht: Wenn du dick bist (ergo, wenn dein Körper nicht dem Schönheitsideal entspricht) dann ist es in Ordnung, wenn andere Menschen sich über dich lustig machen, dich ausgrenzen, dich mobben. Wenn dein Körper nicht dem Ideal entspricht, bist du es nicht wert, geachtet, respektiert und geliebt zu werden. Denn was ist es anderes, wenn er mit seiner Tochter darüber spricht, dass sie „froh sind, nicht dick zu sein“? Dieses Mädchen lernt schon im Kindesalter, dass ihr Wert als Mensch (als Frau?) davon abhängt, wie sie aussieht, und wie angepasst an ein Schönheitsideal sie ist. Dass sie besser gut aufpasst, dass sie nicht dick wird, oder eine andere Körpernorm verletzt, denn sonst dürfen andere über sie lästern.
    Ich glaube (und hoffe), dass dem Vater nicht bewusst ist, was er mit seinem Verhalten anrichtet und welche Auswirkungen das auf das Selbst- und Körperbewusstsein seiner Tochter haben kann. Ich selber habe eine ähnliche Erfahrung gemacht:
    Seit meiner Grundschulzeit bin ich dick. Meine Eltern, besorgt um meine körperliche wie seelische Gesundheit, unternahmen vieles, um mir beim Abnehmen zu helfen. Mein (Über)gewicht war ständig Thema, nicht nur in der Familie, sondern auch für mich persönlich. Ich fühlte mich unzulänglich, nicht gut genug, hässlich, ausgegrenzt und ungeliebt. Trotzdem war irgendwo tief in mir drin die Idee versteckt, dass ich doch mehr sein müsste, als mein Körper, dass es doch auch an mir Dinge neben meinem Aussehen geben müsste, die mich liebenswert machen, dass meine Persönlichkeit, mein Charakter, meine Vorlieben und Stärken doch trotzdem irgendjemanden interessieren könnten. Diese Idee wurde sicher auch bestärkt durch meine Mutter, die mir stets ihre Liebe, völlig unabhängig von meinem Gewicht, versicherte. Einmal, in einem der vielen, vielen Krisengespräche über mein (Über)gewicht (wie immer begleitet von Wut, Tränen, Verzweiflung) gab meine Mutter eine Aussage von meinem Vater wieder, wahrscheinlich ohne sich dessen bewusst zu sein. Sinngemäß: er mache sich Sorgen, dass ich später mal keinen Mann fände (auf die Absurdität dieser Aussage in feministischer Hinsicht will ich jetzt gar nicht eingehen, die war mir damals auch noch nicht so bewusst).
    Mich traf diese Aussage damals wie ein Schlag: Mein eigener Vater, der Mann, der mich mit all meinen Facetten, meiner Persönlichkeit, meinem Charakter, der uns verbindenden Musikalität kannte, konnte sich nicht vorstellen, dass mich jemals ein Mann liebenswert finden könnte, weil ich dick war. Wenn schon mein eigener Vater an mir nichts sah, als mein Übergewicht, wie könnte ich dann glauben, dass irgendein anderer Mann (Mensch) hinter meine dicke Fassade sehen und mich als den Menschen lieben würde, der ich bin?!
    Es hat viele Jahre und die Begegnung mit vielen tollen und inspirierenden Menschen gebraucht und ist immernoch ein Prozess, mich so anzunehmen und selbst zu lieben wie ich bin. Noch immer kann ich es nicht so richtig glauben, dass man (Männer) mich schön und begehrenswert finden könnten. Ein wunderbarer Mann in meinem Leben hilft mir dabei, mich selbst so zu lieben, wie ich bin und versichert mir, wie schön er mich findet, dafür bin ich ihm unendlich dankbar.
    Ich wünsche der Tochter des Autors, dass sie nicht in eine ähnliche Situation kommt. Dass sie nicht dick wird, keine Hautprobleme bekommt, ihre Brüste in der Pubertät nicht zu viel oder zu wenig wachsen oder sie anderweitig von der Körpernorm abweicht. Und wenn es doch passiert, dann wünsche ich ihr, dass sie sich nicht daran erinnert, wie ihr Vater über die dicke Frau gelästert hat und daraus ähnliche Schlüsse zieht, wie ich es getan habe. Ich wünsche ihr, dass ihr auf ihrem Lebensweg Menschen begegnen, die sie lieben und ihr zeigen, dass sie liebenswert ist, so wie sie ist, die bedingungslos zu ihr stehen und die dafür kämpfen, dass sie sein darf, wie sie will.

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